Quo vadis ESF? -
Studie und Fachkonferenz zur Zukunft des ESF
- Datum
- 05.02.2025
Europa steht vor gewaltigen Herausforderungen. Umso wichtiger ist es jetzt, die Stabilitätsanker der Europäischen Union zu stärken - dazu gehört auch der Europäische Sozialfonds (ESF)! Konkrete Handlungsempfehlungen liefert die Studie "Weiterentwicklung des Europäischen Sozialfonds in der Förderperiode 2028-2034".
Vor diesem Hintergrund diskutierten am 5. Februar 2025 unter dem Titel "Quo vadis ESF?" hochkarätige Vertreter*innen aus Deutschland, der EU-Kommission sowie der EU-Mitgliedsstaaten der Länder in Brüssel über die Zukunft des ESF und des Mehrjährigen Finanzrahmens (MFR).
Konkret ging es um die Fragen: "Wie geht es weiter mit dem Europäischen Sozialfonds (ESF)? Welche Maßnahmen sind erforderlich, um ihn auf nationaler wie europäischer Ebene fit für die Zukunft zu machen? Wie kann Bürokratie abgebaut, gesetzliche Hindernisse beseitigt, Verwaltungen verschlankt und mehr Digitalisierung vorangebracht werden?"
Über diese Fragen hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) bereits seit zwei Jahren mit den Bundesländern in einer gemeinsamen Arbeitsgruppe diskutiert und die Studie in Auftrag gegeben. Diese leuchtet die Stärken und Schwächen des ESF in Deutschland und auf europäischer Ebene aus.
Auf der Konferenz wurden die Ergebnisse und Handlungsempfehlungen der Studie vorgestellt. Dazu diskutierten Dr. Rolf Schmachtenberg, Staatssekretär im BMAS, sowie hochrangige Vertreter*innen und Expert*innen aus den Bundesländern, des Europäischen Parlaments (EP), der Mitgliedsstaaten Niederlande, Spanien und Bulgarien sowie der EU-Kommission und relevante Akteure aus der Praxis. Im Kern ging es um die künftige Planung, Umsetzung und Finanzierung des ESF ab dem Jahr 2028.
Die Ergebnisse der BMAS-Studie zeigen: Es besteht dringender Handlungsbedarf für Reformen, um den Komplexitätsgrad der ESF-Förderung zu reduzieren. Die Studie stellt drei verschiedene Szenarien auf europäischer und auf nationaler Ebene vor, wie der ESF zur Förderperiode 2028 – 2034 weiterentwickelt und optimiert werden kann.
Vor diesem Hintergrund erörterten Staatsekretär Dr. Schmachtenberg und Staatssekretär Matthias Heidmeier aus dem Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen, wie die ESF-Förderung nationale Instrumentarien ergänzt und zum Ausgleich der Regionen beiträgt, wie auf Erfahrungen aufgebaut und Bürokratie reduziert werden kann und welche neuen Perspektiven für eine bessere und stärker zielgerichtete Umsetzung des ESF geschaffen werden können.
Staatssekretär Dr. Schmachtenberg betonte, dass der ESF ein Stabilitätsanker für das soziale Europa sei, dessen verwaltungstechnische Anforderungen jedoch immer komplexere Dimensionen erreiche. Er forderte stattdessen einen menschenzentrierten ESF. Die Rechtsgrundlagen für die neue Förderperiode müssten frühzeitig verabschiedet werden, sich überlagernde Prüfungen und Kontrollen reduziert, sowie auf eine verpflichtende erfolgsbasierte Finanzerstattung der EU-Mittel verzichtet werden. Ziel müsse es bleiben, alle Menschen europaweit im Blick zu behalten - daher müsse der ESF weiter alle Regionen fördern.
Der nordrhein-westfälische Staatssekretär Matthias Heidmeier betonte die Zusammenarbeit zwischen Bund und Länder und das gemeinsame Interesse, die Erkenntnisse der ESF-Zukunftsstudie gemeinsam umzusetzen: "Wir werden dafür sorgen, dass wir das Thema ESF in der Arbeits- und Sozialministerkonferenz (ASMK) voranbringen". Er unterstütze den Vorschlag von Staatssekretär Dr. Schmachtenberg, bei der Umsetzung des ESF ein "Vertrauenssiegel" zu schaffen, um Bürokratie abbauen zu können. Wichtig sei eine sinnvolle Aufgabenteilung der Prüfbehörden, damit Doppelstrukturen und damit Doppelprüfungen verhindert werden.
Auch die weiteren Vertreter*innen aus Politik und Praxis sahen konkreten Reformbedarf bei der Planung und Umsetzung des ESF.
So hob der Staatssekretär im spanischen Ministerium für Arbeit und Sozialwirtschaft, Joaquín Pérez Rey, die Bedeutung des ESF als Bindeglied zwischen der EU und ihren Bürger*innen hervor. Um den ESF zu erhalten und zu stärken sei es wichtig, sich auf wenige zentrale Politikbereiche zu beschränken, ihn flexibler zu gestalten und die Verwaltung zu vereinfachen. Es habe sich gezeigt, dass die Flexibilität entscheidend sei, um Veränderungen auf den Arbeitsmarkt zu bewältigen. "Der ESF schafft Vertrauen für Menschen in Europa. Er muss die Fähigkeit haben, sich anzupassen. Aber wir sind überzeugt, dass das Instrument als solches erhalten bleibt."
Der niederländische Minister für Soziales und Beschäftigung, Eddy van Hijum, hob hervor, dass die Zusammenarbeit und Kooperation aller EU-Länder existenziell sei, wenn es um die soziale Sicherung der einzelnen Menschen gehe. "Mit dem ESF können wir so investieren, wie sie es brauchen". Deshalb sei es wichtig, dass die Förderung in allen Regionen auch in Zukunft möglich bleibe. "Wir wollen Menschen in jeder Region erreichen und lassen so niemanden zurück."
Die bulgarische stellvertretende Ministerin für Arbeit und Soziales, Natalia Efremova, plädierte dafür, den ESF als ein klares und benutzerfreundliches Regelwerk zu reformieren. Die Kohäsionspolitik müsse vereinfacht werden, aber ihren Kernprinzipien treu bleiben. Wenn der ESF einfach und flexibel gestaltet werde, könne er in der Umsetzung schneller und passgenauer an lokale Gegebenheiten angepasst werden. Die Mitgliedstaaten hätten dann die Freiheit, ihre Programme auf der Grundlage der jeweiligen Herausforderungen und Möglichkeiten vor Ort zu gestalten.
Für die EU-Kommission nahm der Generaldirektor der Generaldirektion Beschäftigung, Soziales und Integration, Mario Nava, teil. Er sprach sich dafür aus, alle Bevölkerungsgruppen in den Blick zu nehmen und Europa nach innen und außen stark zu machen. Ein wichtiger Aspekt dabei sei, dass Europa den Wandel gemeinsam aktiv gestaltet. Um die Talente und Arbeitskräfte für die Zukunft zu gewinnen, müssten die drei Ziele Bekämpfung von Armut, Investitionen in Qualifizierung und in die Arbeitsmarkpolitik weiterverfolgt werden. Mit Blick auf die Ergebnisse der deutschen Studie zur Zukunft des ESF wies er darauf hin, dass demnächst das diesjährige Arbeitsprogramm der EU-Kommission vorgelegt und über den Weg zum nächsten Mehrjährigen Finanzrahmen beraten wird.
Über die Rolle des Europäischen Parlaments (EP) zur künftigen Gestaltung des ESF diskutierten die beiden Europa-Abgeordneten Dennis Radtke (EVP) und Gabriele Bischoff (S&D). Das EP müsse sich fraktionsübergreifend dafür einsetzen, dass der ESF in der kommenden Haushaltsperiode gestärkt werde, um Menschen weiter befähigen und dabei unterstützen zu können, sich dem Wandel in der Arbeitswelt anzupassen.
In einer weiteren Diskussionsrunde kamen Vertreter*innen aus der Praxis zu Wort. Hier wurde deutlich, dass die Komplexität im ESF bereits aktuell dazu führt, dass selbst etablierte und langjährige Projekt- und Programmverantwortliche von einer ESF-Förderung Abstand nehmen und kleinere Projektträger ohne umfassendes Förderwissen gar nicht mehr am ESF partizipieren. So zeichne sich ein langsamer, aber deutlicher Rückzug des ESF aus der Fläche ab. Dies müsse dringend verhindert werden, denn der ESF eröffne den Menschen - wie kein anderes Arbeitsmarktinstrument - individuelle Chancen und Möglichkeiten, ihre berufliche und unternehmerische Zukunft selbst in die Hand zu nehmen. Ziel der ESF-Förderung müsse es bleiben, den sozialen Zusammenhalt zu fördern und einen wesentlichen Beitrag zur positiven Wahrnehmung eines sozialen Europas vor Ort zu schaffen.
Matthias Wunderling-Weilbier, Staatssekretär im Niedersächsischen Ministerium für Bundes- und Europaangelegenheiten und Regionale Entwicklung, forderte in seinem Schlusswort: "Wir müssen die Regionalität des ESF beibehalten, natürlich mit einer entsprechenden Mittelausstattung. Dafür müssen wir alle gemeinsam kämpfen. Wir brauchen Ihre Unterstützung im politischen Raum, damit diese Themen adressiert werden können - und zwar heute und nicht erst morgen."
Die Konferenz zeigte, dass es eine gemeinsame Grundlage und gute Ideen gibt, wie die Herausforderungen für die Zukunft des ESF gemeistert werden können.
Damit es nicht bei den guten Ideen bleibt, sprach sich Staatssekretär Dr. Schmachtenberg dafür aus, zeitnah eine von der Europäischen Kommission geführte ad hoc-Arbeitsgruppe unter Beteiligung der ESF-Verwaltungsbehörden aller Mitgliedsstaaten einzurichten. Hier sei "eine zeitnahe Diskussion erforderlich, damit eine frühzeitige Vorlage der Verordnungsentwürfe möglichst noch in 2025 durch die Europäische Kommission und ihre Finalisierung bis spätestens Mitte 2027 erfolgen kann."